Donnerstag, 31. März 2011

Wie ein Delfin auf Landurlaub

Mutter Natur hat mich von Geburt an mit einer ausgeprägten erweiterten Wahrnehmung
bestückt. Ich bin hochsensibel und medial begabt.

Als Kind konnte ich nicht zwischen der irdischen und
der feinstofflichen Wirklichkeit unterscheiden. Für
mich waren beide gleichermassen deutlich wahrnehmbar.
Meine Welt bestand aus fliessendem Austausch mit
der Umgebung. Steine, Möbel und Kleider erzählten
mir genauso ihre Geschichten, wie Tiere oder Pflanzen.
Auf meinen waghalsigen Klettertouren wurde ich
ebenso liebevoll von Lichtgestalten behütet, wie von
meiner Katze, wenn ich krank im Bett lag. Selbst der
Boden, auf dem ich oft barfuss ging, fühlte sich als lebendiges
Wesen an. Ich kämmte die Grasbüschel hinter
dem Haus, um der Erde eine nette Frisur zu verpassen.
Einmal, so erzählte mir meine Mutter, hat sie mich
beobachtet, wie ich auf dem Rasen lag, mit meinen
Händen darüber strich und leise «Liebe, liebe Erdenmutter
» sang. So lebte ich im ständigen Austausch mit
allem, was mir über den Weg lief.
Etwas, das ich überhaupt nicht verstehen konnte war
Abgrenzung. In meiner Wahrnehmung existierten keine
klaren Grenzen. Für mich war alles ein grosses, ineinander
fliessendes Gefüge, in dem ich mich aufgehoben
und eingebettet fühlte. Deshalb konnte ich mich auch
nicht wirklich mit meinem Körper identifizieren. Es
fiel mir enorm schwer, mein Bewusstsein nur auf diesen
kleinen Ort zu beschränken. Ich fand es viel interessanter,
meinem Bedürfnis nach Ausdehnung nachzugeben
und mich mit anderen Formen zu vermischen. Auf diese
Weise konnte ich sie besser verstehen. Verschmelzen
war mein Orientierungssinn.

Was in der Natur und mit Tieren so leicht und selbstverständlich
funktionierte, gestaltete sich bei Menschen
sehr schwierig. Bei der Begegnung mit meinen Artgenossen
stiess ich immer wieder auf Wände. Da gab es
Blockaden und Grenzen, an denen mein ausgedehntes
Bewusstsein abprallte und keine Verschmelzung zuliess.
Oder wenn eine Verbindung zu Stande kam, spürte ich
eine resonanzlose Leere, als ob sie nicht bemerken würden,
dass ich sie berührt hatte. Sie kamen mir dumpf
und fremd vor. Das erschreckte mich zutiefst. Wozu
sollte das gut sein? Ich konnte nicht verstehen, warum
sie ihre wahren Gefühle, ihre vermeintlichen Schwächen
oder tiefen Verletzungen hinter dicken Mauern
versteckten. Es machte mich traurig und sehr einsam.
Manchmal fragte ich mich, ob ich unter diesen fremdartigen
Lebewesen jemals glücklich sein würde. Gab es
niemanden auf dieser Erde, der so war wie ich? Verzweifelt
wünschte ich mir einen Gleichgesinnten herbei.

Plötzlich befinde ich mich in der schwerelosen Weite des
Ozeans. Sofort erkenne ich die Ähnlichkeit mit meiner
Wahrnehmung an Land und fühle mich auf Anhieb wohl.
Überglücklich lege ich mich in dieses fliessende Gefüge
und geniesse das Grenzenlose Sein. Ich lasse mich treiben.
Mit jeder Faser meiner Haut nehme ich die feinen Druckverschiebungen
und Bewegungen wahr, die mich umgeben.
Die vorbeiziehenden Lebewesen senden durch ihre
Schwimmbewegungen die unterschiedlichsten Wellen aus.
Ich kann daraus viel über ihre Wesensart erkennen. Die
friedlichen Wale, gestresste Thunfischschwärme, erhabene
Rochen... Ich schöpfe neue Kraft und Hoffnung. Hier bin
ich zuhause.

Plötzlich schiesst eine Welle der Freude und Liebe auf
mich zu. Es bleibt mir gerade noch Zeit mich aufzurichten,
da sehe ich auch schon den Delfin auf mich zufliegen.
Wir liegen uns in den Armen (in diesem Fall eher in den
Flossen) und schnattern aufgeregt. Wir rollen uns spielerisch
neckend um einander und können es beide kaum
fassen: wir haben uns wieder gefunden!!! Nach dem ersten
Freudentanz schwimmen wir in lichtdurchflutetes Gewässer.
Der helle Sand unter uns reflektiert das steil einfallende
Sonnenlicht. Ich betrachte meinen Freund nun genauer.

Leseprobe aus dem Buch:

"Mit erweiterter Wahrnehmung leben – Handbuch für Sensitive"
von Christina Wiesner Sonnenbaum

erhältlich unter folgendem Link: www.sonnenbaum.ch
(Erscheinungdatum April 2011)

 

 

 

 

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